Hausaufgaben für die Kirchen
05. November 2013
von Friedrich Degenhardt (*)
Was können wir heute alle gemeinsam über die Kirche sagen? Diese Frage werden die Delegierten der 10. ÖRK-Vollversammlung als Hausaufgabe im Gepäck haben, wenn sie aus Busan nach Hause zurückkehren. Der neue Konvergenztextes „Die Kirche: Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision“ soll die Diskussion über diese Frage anregen. Konvergenz heißt, dass noch keine volle Einigkeit besteht. Der Text fasst aber zusammen, wie weit die Fortschritte heute gehen.
Zwei Ziele verfolgt der ÖRK mit dem Diskussions-Prozess, der nun in den Mitgliedskirchen beginnen soll. Zum einen Erneuerung. Das heißt, dass die Kirchen weltweit dazu angeregt werden, die eigene Position zu überdenken, wenn sie etwas im Konvergenztext entdecken, das nicht zu ihrer Praxis und ihren Überzeugungen gehört. Zum anderen geht es um die theologische Verständigung über das Thema Kirche. Denn die anhaltenden Spaltungen zwischen den Kirchen weltweit haben viel mit der Frage zu tun, ob man die jeweils anderen überhaupt als „richtige Kirche“ anerkennt.
Ein Durchbruch nach 20 Jahren
„Dies ist ein Durchbruch“, sagt William Henn über den Konvergenztext. Pater Henn, der Professor an der Päpstliche Universität Gregoriana in Rom ist und den Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen berät, bereitet in einem sogenannten Ökumenischen Gespräche während der ÖRK-Vollversammlung Delegierte darauf vor, in ihren Kirchen mit dem Konvergenztext zu arbeiten. „Es gibt jetzt eine große Übereinstimmung über fundamentale Prinzipien“, sagt Henn. Dies sei nicht einfach ein weiteres Studiendokument, sondern eine Darstellung der gemeinsamen Überzeugungen. „Damit haben wir einen neuen, positiven Rahmen geschaffen, innerhalb dessen wir weiter bedenken können, was uns noch trennt“, so Henn.
Der Weg zu einer gemeinsamen Vision ist lang, und nicht nur ÖRK-Mitgliedskirchen sind dabei. 20 Jahre lang haben in der ÖRK-Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung Vertreter der orthodoxen, protestantischen, anglikanischen und evangelikalen Kirchen, aber auch aus den Pfingstkirchen und der römisch-katholischen Kirche zusammengearbeitet. Damit kann man sagen, dass an dem Konvergenztext Christen aus allen Konfessionen weltweit beteiligt waren.
Grundlage ihrer Arbeit war die 1982 veröffentlichte Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“, die sogenannte Lima-Erklärung, die damals mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. In vielen Kirchen und ihren Gemeinden hofften die Menschen, dass nun ganz praktische Fortschritte in der Ökumene möglich seien. So wurde bei der 6. ÖRK-Vollversammlung 1983 in Vancouver gemeinsam das Abendmahl nach der sogenannten Lima-Liturgie gefeiert. Die Antworten, mit denen Kirchen in aller Welt auf die erste Konvergenzerklärung reagierten, wurden in insgesamt sechs Bände veröffentlicht. Ein Ergebnis: Wir brauchen eine gemeinsame ökumenische Sicht darauf, was Kirche ist.
Einigkeit über vier gemeinsame Prinzipien
Die nun erreichten vier grundlegenden gemeinsamen ekklesiologischen (die Lehre von der Kirche betreffenden) Prinzipien beschreibt Professor Henn, der selbst seit 25 Jahren an den theologischen Beratungen beteiligt ist, wie folgt:
Erstens gibt es eine neue ökumenische Methodik. Es werden nicht mehr nur Unterschiede und Übereinstimmungen verglichen, sondern der Ansatzpunkt ist, gemeinsam nach einem tieferen Verständnis von Gottes Willen zu suchen. Hinter manchen trennenden Aussagen über die Kirche verbergen sich tiefere Übereinstimmungen, so die Beobachtung von Henn.
Zweites bestehe eine breite Einigkeit darüber, dass die Kirche missionarisch ist und dass sie eine Gemeinschaft ist. Diese Aussagen sind die gemeinsame Basis, auf der die Kirchen aufbauen können, so Henn.
Drittens ist die weltweite Kirche auf der Pilgerschaft. Das heißt, so Henn, dass die Kirche nicht vollkommen ist und also noch weiter wachsen muss. Mit dieser Perspektive wird es für alle Beteiligten möglich, trennende Unterschiede zwischen den Kirchen auszuhalten.
Viertens wird die Kirche als Gottes Werkzeug zu Heilung der Welt gesehen. Sie ist, also kein Selbstzweck. Aufgabe der Kirche sei es, so Henn, sich für das Reich Gottes, also für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.
Abgabetermin ist Ende 2015
Auf die Fragen, in denen es noch keine Einigkeit zwischen den Kirchen gibt, werden im Konvergenztext benannt: Wie kann man die legitime Vielfalt unter den Kirchen, die ausdrücklich begrüßt wird, von trennender Vielfalt unterscheiden? Gibt es – wie in der römisch-katholischen Kirche – für alle Kirchen eine normative Lehre? Wie entscheidend ist die Ämtertrias von Jesus Christus als Prophet, Priester und König? Außerdem ist die Zahl der Sakramente ist bis heute umstritten: Sind es nur Taufe und Abendmahl - wie in den evangelischen Kirchen - oder gehören Firmung, Bußsakrament, Krankensalbung, Diakon-, Priester- und Bischofsweihe, sowie Ehe – wie in der römisch-katholischen Kirche – auch dazu.
Der Konvergenztext enthält für die Mitgliedskirchen fünf konkrete Fragen: 1) Inwieweit gibt der Text euer Verständnis von Kirche wieder? 2) Inwieweit kann der Text Grundlage für eine wachsende Einheit sein? 3) In welchen Punkten könnt ihr die Lehre und Praxis in eurer eigenen Kirche erneuern? 4) Wo könnt ihr eure Beziehungen zu anderen Kirchen intensivieren? Und: 5) Bei welchen Fragen ist eine weitere Diskussion erforderlich. - Abgabetermin für die offiziellen Antworten der ÖRK-Mitgliedskirchen ist der 31. Dezember 2015.
(*) Friedrich Degenhardt ist Journalist und Pastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Er arbeitet als Ökumene-Beauftragter in Hamburg vor allem mit Migrations-Gemeinden zusammen.
„Die Kirche: Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision“ als pdf-Datei
Hochauflösende Photos sind erhältlich über photos.oikoumene.org